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Big Bang im Rechnungswesen? Was IFRS 9 und IFRS 17 für Versicherungsinvestoren bedeuten

  • 11 Juli 2023 (7 Minuten Lesezeit)

  • Dieses Jahr ändern sich die Rechnungslegungsvorschriften für Versicherungen grundlegend. Das bringt Herausforderungen, aber auch Chancen für die Strukturierung und das Management ihrer Anlageportfolios.
  • Die Auswirkungen auf Portfolios hängen von der Art der Versicherung und vom angewendeten IFRS-17-Bewertungsverfahren ab.
  • Wir meinen, dass Versicherungs-CIOs die Asset-Allokation sowie Struktur und Management ihrer Portfolios gegebenenfalls überdenken sollten.

Die anhaltende Inflation führte zu einer noch nie da gewesenen Straffung der Geldpolitik und einem massiven Zinsanstieg, der wiederum für Volatilität sorgte und der Marktliquidität schadete. Für Versicherungen ist das nicht einfach. Ihr Finanzmanagement steht vor neuen Herausforderungen. Die Anlageportfolios müssen überprüft werden, damit das Risikomanagement weiter funktioniert und angemessene Erträge erzielt werden können. Aber das ist nicht alles: Hinzu kommen grosse regulatorische Veränderungen. Manche sprechen von einem „Big Bang“, wenn IFRS 9 und IFRS 17 dieses Jahr in Kraft treten.1

Bei IFRS 9 geht es letztlich um Einstufung und Bewertung der Finanzanlagen, bei IFRS 17 um Erfassung, Bewertung, Ausweis und Offenlegung der Verbindlichkeiten von Versicherungen. Für sich genommen unterscheidet sich IFRS 9 nicht wesentlich vom alten IAS-39-Standard.2 Die neuen Regeln könnten aber die Gewinne der Versicherungen stärker schwanken lassen, sofern keine adäquaten Anlageentscheidungen getroffen werden.

IFRS 17, das an die Stelle von IFRS 4 tritt, hat deutlich grössere strukturelle Folgen. Tatsächlich handelt es sich um die grösste Änderung der Rechnungslegungsvorschriften für Versicherungen seit 20 Jahren. Die Institute müssen ihre Finanzberichterstattung grundlegend ändern.

IFRS 17 soll gewährleisten, dass die Geschäftszahlen die Lage der Versicherung besser abbilden, und für eine bessere Vergleichbarkeit sorgen. IFRS 17 ändert nichts an der Wirtschaftlichkeit, den Cashflows und den Kapitalanforderungen von Versicherungsprodukten. Eine rentable Versicherung bleibt auch unter den neuen Vorschriften rentabel. Gefordert wird aber, dass Versicherungsverträge jetzt mit ihrem Gegenwartswert bewertet werden. Dadurch ändern sich Bilanzstruktur und Bewertung der einzelnen Bilanzpositionen.

Unterschiedliche Auswirkungen

Ausserdem werden die Gewinne jetzt zu dem Zeitpunkt erfasst, zu dem der Versicherer Versicherungs- oder Investmentdienstleistungen erbringt – und nicht wie bisher erst, wenn ihm Prämien zufliessen. Nach dem alten System war das möglich, weil hier länderspezifische Regeln galten. Die Änderungen haben Auswirkungen auf die Gewinne in den einzelnen Geschäftsjahren und auf deren Ausweis. Aber was bedeutet das konkret? Wir rechnen damit, dass die Gewinne von Lebensversicherungen mit Überschussbeteiligung in Zukunft weniger stark schwanken, anders als bei Schaden- und Unfallversicherungen und vergleichbaren Sparten, die zugleich zinssensitiver sind.3

Das Zusammenspiel der neuen Regeln kann je nach Versicherungsvertrag auch grosse Auswirkungen auf Strukturierung und Management der Anlageportfolios haben. Deshalb muss man unbedingt verstehen, wie die neuen Regeln zusammenwirken.

Lebensversicherungen mit Überschussbeteiligung können ihre Anlageportfolios nach den neuen Regeln sehr viel flexibler steuern, da sie jetzt nicht mehr durch lokale (und damit andere) Rechnungslegungsvorschriften eingeschränkt werden. Die Erträge von Anlageportfolios zur Deckung von Versicherungen mit direkten Partizipationsmerkmalen (Direct Participation Features) – für die gemäss IFRS 17 der Variable Fee Approach (VFA) gilt – haben nach den neuen Regeln keine unmittelbaren Auswirkungen auf die GuV mehr. Die Anlageperformance wirkt sich nur sukzessive aus – über die Contractual Service Margin (CSM), die nach und nach aufgelöst wird.

Wir glauben, dass dies in der Praxis zu einem aktiveren Portfoliomanagement führt. Ausserdem wird der Einsatz von Derivaten erleichtert, und die Wahl der Anlagevehikel wird freier, etwa die Entscheidung zwischen offenen Investmentfonds und Spezialmandaten.

Portfolioanpassungen

Für andere Anlageportfolios, etwa zur Deckung von Lebensversicherungen ohne direkte Partizipationsmerkmale oder von Schaden- und Unfallversicherungen (mit Bewertungsverfahren wie dem Building Block Approach oder dem Premium Allocation Approach)4 gelten die Einschränkungen von IFRS 9 in vollem Umfang. Versicherungen, die ihre Gewinnschwankungen minimieren wollen, müssen daher strategische Entscheidungen treffen. Für das Rechnungswesen müssen sie die Aktiva ihrer Anlageportfolios nach einem von mehreren möglichen Ansätzen strukturieren. Die Diskussion konzentriert sich vor allem auf die Ansätze „Fair Value through P&L“ (FVTPL) und „Other Comprehensive Income“ (OCI).

  • Versicherungen, deren Aktiva gemäss IFRS 9 vor allem als FVTPL klassifiziert sind, erhalten einen gewissen Ausgleich für die höhere Gewinnvolatilität. Dies liegt daran, dass die Verbindlichkeiten, also etwa der Gegenwartswert von Schadensforderungen, jetzt mit marktgerechten Zinsen abdiskontiert werden und nicht mehr mit einer Kombination unterschiedlicher Ansätze. Dies wird gemäss IFRS 17 standardmässig In der Gewinn- und Verlustrechnung erfasst. Wir glauben, dass ein funktionierendes Asset Liability Matching, also eine angemessene Laufzeitenkongruenz von Aktiva und Passiva, diesen Ausgleich maximieren dürfte. Das spricht für gut konstruierte Anleihenportfolios, die die Verbindlichkeitenseite berücksichtigen.
  • Versicherungen, deren Aktiva überwiegend als OCI klassifiziert sind, haben sich mit einer hohen Wahrscheinlichkeit für die OCI-Option gemäss IFRS 17 entschieden. Das hat zur Folge, dass die Auswirkungen von Zinsänderungen auf den Wert der Verbindlichkeiten im OCI und nicht in der Gewinn- und Verlustrechnung berücksichtigt werden. Um zu starke Gewinnschwankungen zu vermeiden, halten wir es deshalb für entscheidend, dass möglichst viele Aktiva als OCI klassifiziert werden.
    Wir glauben, dass die betroffenen Versicherungen spezielle Anleihenlösungen und Aktiva bevorzugen werden, die dem SPPI-Test genügen – und nicht etwa offene Investmentfonds, die gemäss IFRS 9 grundsätzlich als SVTPL eingestuft werden.5 Wir meinen ausserdem, dass Versicherungen ihre Portfolios stärker diversifizieren sollten, um Abschreibungsrisiken zu verringern. Sie beruhen nämlich auf dem IFRS-9-Modell für die erwarteten Kreditausfälle. Bei offenen Investmentfonds könnten hingegen Strategien mit einer geringeren Volatilität, beispielsweise Anlagen in High-Yield-Kurzläufer, bevorzugt werden.
  • Versicherungen sollten auch ihre Aktienanlagen überprüfen, abhängig davon, ob sie sich für die OCI-Option gemäss IFRS 9 entschieden haben oder nicht. IFRS 9 stuft Aktienanlagen grundsätzlich als FVTPL ein. Einmal mehr könnten Versicherungen daher niedrigvolatile oder risikokontrollierte Aktienstrategien bevorzugen, um die Nettoertragsschwankungen zu begrenzen.
    Zwar besteht die Möglichkeit, Aktien als „Fair Value Other Comprehensive Income“ (FVOCI) einzustufen, doch werden dann nur die Dividenden den Gewinnen zugeschrieben, sodass nicht die gesamte Aktienmarktperformance in den ausgewiesenen Gewinn einfliesst. Wer seine Aktienanlagen als OCI einstuft, könnte versucht sein, eine möglichst hohe Dividendenrendite anzustreben, um die ausgewiesenen Gewinne zu maximieren. Man sollte sich aber dann der Risiken durch eine Übergewichtung bestimmter Aktienfaktoren und der möglichen ESG-Effekte bewusst sein.

Jetzt handeln

Für die CIOs von Versicherungen sind die Veränderungen aber noch aus anderen Gründen eine Herausforderung. Ein Beispiel: Bei Schaden- und Unfallversicherungen müssen gemäss dem Premium Allocation Approach von IFRS 17 Versicherungsleistungen des laufenden Jahres, die erst in mehreren Jahren zur Auszahlung kommen, mit den Zinsen des laufenden Jahres abdiskontiert werden. Das kann zu einem überhöhten Gewinnausweis führen, da die nominalen Versicherungsleistungen abdiskontiert werden, sodass eine niedrigere Schaden-Kosten-Quote (Combined Ratio, also Versicherungs­leistungen abzüglich Prämieneinnahmen) ausgewiesen wird. Im Laufe der Jahre werden aber die Schadensrückstellungen aus früheren Jahren mit einem vorab festgelegten Zins aufgelöst, was wiederum zu einem niedrigeren Gewinnausweis führen kann. Die Folge ist, dass die Gewinne von Schaden- und Unfallversicherungen gemäss IFRS 17 zinssensitiver und damit volatiler werden.

Mit anderen Worten: Ein drastischer Zinsrückgang gefolgt von einer Hochzinsphase hätte Auswirkungen auf die Gewinne im laufenden Jahr. Die Schaden-Kosten-Quote würde steigen. Versicherungen wollten schon immer ihr Wiederanlagerisiko steuern. Wir glauben aber, dass das jetzt noch wichtiger wird. In individuellen Anleihenlösungen, die neben Anleihen auch in Derivate investieren, können spezifische Absicherungstechniken leichter umgesetzt werden.

Angesichts des komplexen Zusammenspiels zwischen IFRS 9 und IFRS 17 und möglicher Wechselwirkungen mit lokalen Rechnungslegungsvorschriften halten wir es für möglich, dass Versicherungen die Auswirkungen der neuen Vorschriften auf ihre Anlageportfolios noch nicht vollständig erfasst haben. Auf jeden Fall sollte man sich genau mit den Auswirkungen der neuen Regeln befassen. Manche machen das Portfoliomanagement flexibler, andere sorgen für neue Möglichkeiten des Gewinnausweises. Letztlich glauben wir aber, dass ein kluger Umgang mit den neuen Regeln wichtige Auswirkungen auf die Portfoliostrukturierung und die Asset-Allokation hat – und dass strategische Entscheidungen getroffen werden müssen, um die Finanzergebnisse zu optimieren.

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