
Momentum und Wachstum
- 04 Juli 2025 (5 Minuten Lesezeit)
Die US-Wirtschaft ist dynamisch wie eh und je. Nichts, aber auch gar nichts, deutet auf eine Rezession hin. Die Beschäftigung wächst stärker als erwartet, und die Zolleinnahmen entlasten den defizitären Staatshaushalt. Die Staatsanleihenrenditen steigen nur leicht, und die Aktienrisikoprämie wird immer kleiner. Im Juni lagen US-Aktien vor europäischen Titeln – eine Umkehr der Entwicklung seit Jahresbeginn. Man kann es sich kaum vorstellen, aber „Sell America“ scheint passé. US-Aktien steigen wieder. „America is being made great again.“
Zollrausch (oder so)
Bald wissen wir, wie es mit den am 2. April verkündeten „reziproken“ Zöllen nach dem 90-tägigen Moratorium weitergeht. Laut US-Finanzministerium wurden dieses Jahr schon Zölle in Höhe von 100 Milliarden US-Dollar eingenommen, vor allem seit April. Nach Schätzungen des Yale Budget Lab beträgt der amerikanische Effektivzoll zurzeit etwa 15%, so viel wie seit den 1930ern nicht mehr. Gezahlt werden die Zölle von den Importeuren, wenn die Einfuhren die amerikanische Grenze passieren. Am Ende teilen sie sich aber die Belastungen mit den Endverbrauchern. Aufs Jahr hochgerechnet betragen die Zolleinnahmen bislang etwa 1% der Ausgaben amerikanischer Haushalte – ein auf den ersten Blick kleiner, aber doch nicht zu ignorierender Vermögenstransfer von Haushalten und Unternehmen an den Staat. An dessen Defizit wird sich dadurch nicht viel ändern. Man sieht aber, wie sich eine protektionistische Handelspolitik auf die Realeinkommen auswirkt.
Steigende Preise?
Eine genauere Analyse des Preisindex zeigt, dass die Zölle Auswirkungen auf die Importpreise haben. Im Vorjahresvergleich legten die Preise langlebiger Güter zuletzt wieder stärker zu, Produzenten- ebenso wie Verbraucherpreise. Laut Institute for Supply Management ist der Einkaufspreisindex im Juni leicht von 69,5 auf 69,7 gestiegen; sehr viele Einkäufer müssen also mehr bezahlen. Der Importindex hat sich nach 39,9 im Mai im Juni zwar auf 47,4 erholt, steht aber immer noch für schrumpfende Einfuhren. Die Teilnehmer an der ISM-Befragung liessen keinen Zweifel daran, dass die Zölle Auswirkungen auf Preise und Einkaufsentscheidungen haben, und zwar keine guten.
Aber neue Rekordhochs
Den Märkten scheint all das egal zu sein. Aktien steigen auf immer neue Rekordhochs – und trotz der Zweifel an der Fiskalpolitik und der negativen Reaktion auf den Juni-Arbeitsmarktbericht sind die Anleihenrenditen noch immer nicht so hoch, dass sie Aktien schadeten. Die Fed wartet ab, aber am Markt rechnet man weiterhin mit Zinssenkungen im Herbst. Einstweilen bewegen sich die Renditen amerikanischer und anderer Staatsanleihen im etablierten Handelskorridor.
Die Gewinnrendite des S&P 500, also das Inverse des Kurs-Gewinn-Verhältnisses, liegt (auf Basis der Konsensprognose für das Gewinnwachstum der nächsten zwölf Monate) um etwa 25 Basispunkte über der US-Zehnjahresrendite. Diese Differenz neigt zu starken Schwankungen. Während der Dotcom-Blase Ende der 1990er wurde sie negativ. 2011 erreichte sie einen Höchststand von über 6 Prozentpunkten, und heute beträgt sie fast wieder null. Das Fazit ist eindeutig: Aktien sind gegenüber Anleihen heute sehr teuer. Man könnte aber auch noch weitergehen und annehmen, dass man mit Aktien künftig wohl weniger verdient als mit Anleihen. Das Gegenargument lautet, dass die Unternehmensgewinne noch immer stark wachsen und die Kurse stützen dürften. Nicht auszuschliessen ist aber eine Rezession, wenn die Einnahmen nicht mehr so stark wachsen. Ohne Einnahmen können Unternehmen und Haushalte kein Geld ausgeben, ohne Ausgaben fehlt es an Umsatz, und ohne Umsatz kann man nichts verdienen.
Das Negativszenario
Nach einem Allzeithoch in den frühen 2000ern fiel der S&P 500 Index um fast 50%. Danach brauchte es etwa sechs Jahre, um das alte Hoch wieder zu erreichen. Mit US-Staatsanleihen hat man in dieser Zeit netto mehr verdient als mit Aktien. Damit amerikanische Aktien weiter vorn liegen, muss eine heftige Korrektur ausbleiben. Sie würde Gewinne und Zinsen fallen lassen. Laut National Bureau of Economic Research ist die US-Wirtschaft – von der Minirezession während Corona einmal abgesehen – jetzt 192 Monate in Folge gewachsen, und damit länger als in den 1980ern, 1990ern, 2000ern und 2010ern. Könnte eine Rezession jetzt nicht einfach fällig sein? Aber noch bleibt sie aus. Warum sollten Aktien nicht weiter steigen, wenn die US-Wirtschaft so stabil ist?
Nachlassendes Momentum in Europa
Die Aktien anderer Länder sind nicht teuer, aber dort ist die Wirtschaft auch nicht so stark gewachsen. In Europa und Asien sind die Bewertungen deutlich niedriger. Die amerikanische Ausnahmestellung machte hohe Vermögenszuwächse möglich – wenn auch um den Preis grösserer Verlustrisiken, vor allem bei einer unberechenbaren Politik und höheren Inflationsrisiken. Die gute Juni-Performance bestätigt den neuen Optimismus für die USA. Amerikanische und technologielastige asiatische Aktienindizes lagen letzten Monat mit Abstand vorn. Europäische Aktien gerieten ins Hintertreffen, auch wenn sie seit Jahresbeginn noch immer führen. Äusserungen der EZB, dass sie die Zinsen ausreichend gesenkt habe, waren der Anlegerstimmung alles andere als zuträglich. Auch europäische Anleihen blieben erstmals seit Langem hinter amerikanischen (und britischen) zurück.
Interessante kurz laufende Linker
Es sind keine guten Zeiten für klare Überzeugungen. US-Aktien sind ein gewaltiger Momentum-Trade; man kauft in Schwächephasen und setzt auf die KI-Euphorie. Neben Aktien verzeichneten in den letzten Jahren auch kurz laufende inflationsindexierte Anleihen ordentliche risikoadjustierte Erträge. Das Schöne an ihnen ist, dass sie von einer steigenden Verbraucherpreisinflation profitieren, dabei aber nur wenig zinssensitiv sind. Seit Jahresbeginn ist der ICE Global 1–5 Year Inflation Linked Bond Index in US-Dollar um 7,5% gestiegen (Stand Ende Juni), abgesichert in Euro waren es 2,95%. Damit lag die Rendite noch immer deutlich über dem harmonisierten Euroraum-Verbraucherpreisindex von 1,6% Ende Mai. Kurz laufende Linker können von den Irritationen über Trumps Zölle eigentlich nur profitieren. Eine steigende Inflation ist gut für sie, und wenn das Wachstum nachlässt und die Fed die Zinsen früher oder stärker senkt als erwartet, ist das für sie ebenfalls günstig. Die Nominalzinsen und die Break-even-Inflation fallen.
Stabile Cashflows von High Yield
Bei risikoreicheren Titeln wäre eine Kombination aus Aktien und High-Yield-Anleihen ebenfalls interessant. Weltweit hat man mit High Yield viel verdient. Gemessen an den ICE-Indizes waren es bis Ende Juni 6,9% in US-Dollar und 3,4% abgesichert in Euro. Fundamentaldaten und Marktentwicklung sorgen hier weiter für Ertrag. Daran dürfte sich künftig nicht viel ändern. Bei einer Rezession in den USA wäre wohl die gesamtwirtschaftliche Nachfrage der Auslöser und nicht die Unternehmensfinanzen. US-Unternehmen dürften von einigen Steuerbestimmungen des Haushaltsgesetzes profitieren. Die folgende Abbildung zeigt die Gesamterträge kurz laufender Linker, amerikanischer High-Yield-Anleihen und amerikanischer Technologieaktien seit Jahresbeginn.
Barbell
Jeder Anleger hat eine andere Risikobereitschaft und einen anderen Zeithorizont. Die Indizes für kurz laufende Linker und High-Yield-Anleihen notieren auf Rekordhochs, und amerikanische Wachstumsaktien ebenfalls. Die Cashflows von Anleihen sind ziemlich berechenbar. Inflationsausgleich, Zinsen und Kreditrisikoprämien beruhen auf harten Fakten. Aktien reagieren hingegen wesentlich mehr auf Erwartungsänderungen. Werden die Gewinne auch mittelfristig so stark steigen wie zuletzt? Fest steht, dass KI vieles ändern kann und Unternehmen Milliarden ausgeben, um sie zu nutzen – in der Hoffnung auf steigende Produktivität und höhere Gewinne. Aber sollte man zu den derzeitigen Kursen einsteigen? Die Aktienrisikoprämie ist in den USA sehr niedrig, aber zum Ausgleich rechnet man bei Technologiewerten mit einem hohen Gewinnwachstum. Ein Barbell-Portfolio aus Wachstumsaktien (mit langer Duration) und Anleihen mit kurzer Duration bleibt eine attraktive Kernanlage.
Ausgleich für Haushaltsrisiken
Das Drama um die britische Finanzministerin Rachel Reeves am 2. Juli zeigte, wie stark britische Staatsanleihen vom Haushaltsausblick abhängen. Spekulationen darüber, dass sie durch jemanden mit einer geringeren Haushaltsdisziplin ersetzt werden könnte, liessen die britische 10-Jahres-Rendite um 15 und die 30-Jahres-Rendite um 19 Basispunkte steigen. Als Premier Keir Starmer dann ihren Verbleib im Amt bestätigte und versicherte, dass die Regierung auch weiterhin Haushaltsdisziplin üben werde, fielen die Renditen schnell wieder. Anleger wissen aber nur zu gut, dass die britische Regierung nicht gleichzeitig die eigenen Abgeordneten, ihre Anhänger und die Finanzmärkte zufriedenstellen kann. Dieses Problem wird Starmer und Reeves erhalten bleiben – ein Risikofaktor für britische Staatsanleihen, bis im Herbst neue Haushaltspläne vorgestellt werden. Eine Möglichkeit könnten Einkommensteuererhöhungen sein. So lässt sich leichter Geld einnehmen als mit allen anderen bislang vorgestellten Massnahmen.
In den meisten Ländern sind die langfristigen Anleihenrenditen heute höher als zu Jahresbeginn. An den Risikoprämien gibt es keinen Zweifel; im Schnitt liegen die Renditen 30-jähriger Staatsanleihen etwa 80 Basispunkte über den Swapsätzen. Der US-Haushalt ist verabschiedet, und die britische Regierung hat eine Atempause bis zum Haushaltsentwurf im Herbst. 30-jährige Anleihen scheinen in diesem Sommer interessant, zumal Fed und Bank of England die Zinsen durchaus senken könnten.
Performancedaten/Quellen: LSEG Workspace Datastream, ICE Data Services, Bloomberg, AXA IM, Stand 3. Juli 2025, falls nicht anders angegeben. Die Wertentwicklung der Vergangenheit ist kein Hinweis auf künftige Erträge.
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