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Markt Updates

Blindflug


Die Frage, was „eingepreist“ sei, fand ich schon immer schwierig. Ich hätte einfach „alles“ sagen können – bei rationalen Erwartungen bilden die aktuellen Kurse schliesslich das kollektive Wissen und die gemeinsame Sicht der Marktteilnehmer ab. Die Kurse folgen dann einem Random Walk und passen sich an, wenn sich die kollektive Einschätzung aufgrund neuer Informationen ändert. Heute aber könnte man ebenso gut mit „nichts“ antworten. Jedenfalls ist kein klares Zukunftsszenario in den Kursen zu erkennen. Keine Rezession, keine Inflation. Die implizite Volatilität steigt wegen dieser Unsicherheit. Man scheint denkfaul und sorglos. Droht jetzt ein Marktschock, weil sich die USA auf einen Angriff auf den Iran vorbereiten und die Zölle der Wirtschaft doch noch schaden?


Gefangen im Heute

Bei der Erwartungsbildung spielt der Rezenzeffekt eine wichtige Rolle, und das wohl nirgendwo mehr als am Finanzmarkt. Kurs- und Ertragserwartungen hängen stark davon ab, was zuletzt passiert ist. Man will einfach nicht akzeptieren, dass Trends enden oder etwas plötzlich anders ist. Die Konsenserwartungen zeigen daher nur selten grosse Marktbewegungen an. Menschen rechnen einfach nicht damit – und vor allem tun sie nur wenig, um sie zu nutzen oder ihre Portfolios davor zu schützen. Man neigt dazu, die aktuellen Kurse als gute Annäherung an den Fundamentalwert anzusehen, als Abbild von Wirtschaftslage, Politik und Markttechnik. Wenn sich die Märkte dann noch länger seitwärts bewegen und am Terminmarkt nur wenig Volatilität erwartet wird, werden die Anleger noch sorgloser. Ein Schock ist dann umso gravierender. Der Anstieg der amerikanischen Zehnjahresrendite von etwa 0,5% Mitte 2020 auf 5% Ende 2023 zeigt anschaulich, wie der Rezenzeffekt wirkt. Er hinderte die Marktteilnehmer daran, an eine Renditenormalisierung zu glauben. Sie rechneten einfach nicht mit einem Niveau, wie es vor Finanzkrise und Quantitative Easing üblich war.

Think Big

In Gesprächen mit Kunden diese Woche schien es mir, als stünden der Rezenzeffekt und die zuletzt grossen Veränderungen der Fundamentaldaten im Konflikt miteinander. Fundamentale Veränderungen können grosse Kursbewegungen auslösen – man denke nur an den Dollar. Konsens ist vermutlich, dass der Dollar gegenüber den anderen grossen Währungen noch etwas abwertet, als Folge der Umschichtung internationaler Aktien- und Anleihenportfolios wegen der amerikanischen Politik. Anleger können sich aber nur schwer vorstellen, wie weit die Abwertung gehen kann. Man scheut sich vor Prognosen, da sie meistens falsch sind. Aber man muss auch wirklich grosse Veränderungen in Betracht ziehen, folgenschwere, auch wenn sie unangenehm sind. In einem Kundengespräch gab ich zu bedenken, dass der Wechselkurs (zurzeit 1,14 US-Dollar je Euro) bei einer weiteren Dollarabwertung durchaus auf 1,35 bis 1,40 steigen kann. Allein der Gedanke daran wurde als Schock wahrgenommen. Aber es kann passieren.

2008, einige Jahre nach seiner Einführung, ist der Euro auf 1,60 US-Dollar gestiegen. Der Dollar litt unter der Subprimekrise. Als sie vorüber war, notierte der Euro bis 2015 über 1,20 US-Dollar. Dann begann die EZB mit ihrer Negativzinspolitik.

Ein Rezept für einen schwachen Dollar

Trumps Handelspolitik kann die amerikanische Wirtschaft noch immer schwer treffen. Sie kann eine Rezession und eine Aktienmarktkorrektur auslösen. Das aggressive Auftreten der US-Regierung gegenüber anderen Ländern könnte Auswirkungen auf internationale Investitionen haben – ein noch recht neues Risiko, das sich in den Zahlungsbilanzdaten bislang noch nicht zeigt. Wenn die USA ihr Haushaltsdefizit mittelfristig in den Griff bekommen müssten, wäre das wohl negativ für den Dollar. Nach dem Mundell-Fleming-Modell (das den kurzfristigen Zusammenhang zwischen nominalem Wechselkurs, Zinsniveau und Wirtschaftsleistung beschreibt) würden die üblichen Mittel – Steuererhöhungen, Ausgabenkürzungen und niedrigere Zinsen – den Dollar schwächen.

Wenn die USA wirklich eine neue Weltwirtschaftsordnung anstreben, könnten sie einen schwächeren Dollar ohnehin gar nicht so schlecht finden. Einige Regierungsmitarbeiter haben sich bereits in diesem Sinne geäussert. Ein Führungswechsel bei der Fed könnte den Einfluss des Weissen Hauses auf die Geldpolitik stärken, aber auch den Dollar schwächen. Auch Wechselkurse überschiessen, und auch hier spielt das Momentum eine Rolle. Die von mir genannten Wechselkurse sind keinesfalls völlig übertrieben, wenn man die möglichen Ursachen einer Dollarschwäche bedenkt.

Potenzial in Europa?

Man sollte sich aber auch die andere Seite des Wechselkurses ansehen. Zurzeit sprechen Wirtschaftswachstum und Zinsen in Europa nicht wirklich für einen sehr viel stärkeren Euro. Wichtig sind aber die deutschen Sondervermögen – 1 Billion Euro zusätzliche Ausgaben in den nächsten zehn Jahren, fast 25% des deutschen BIP. Sie könnten das Potenzialwachstum im Euroraum steigern, zum Vorteil von Deutschland und seinen Nachbarn. Vielleicht steigen dann auch der neutrale Zins und die Bundesanleihenrenditen. Der Wachstumsunterschied zwischen den USA und dem Euroraum könnte zurückgehen, ebenso wie der Zinsunterschied. Wenn die US-Inflation steigt, muss der Wechselkurs darauf in irgendeiner Form reagieren.

Auch wenn ich das nicht prognostiziere, ist ein Wechselkurs wie früher ein interessantes Gedankenexperiment. Als Nächstes müsste man dann über die möglichen Folgen nachdenken. Wertete der Euro weiter auf, wäre das schlecht für europäische Exporteure (auch wenn das Wirtschaftswachstum heute niedriger ist als Mitte der 2000er-Jahre, als der Euro ebenfalls sehr stark war, und zuletzt hat ein schwächerer Euro das Wachstum kaum gefördert). Ein schwächerer Dollar könnte am Ende sogar das US-Handelsbilanzdefizit verringern und sicherstellen, dass die USA auch weiterhin ihre Staatsanleihen platzieren können – schliesslich wären sie dann währungsbereinigt attraktiver. Aber natürlich würden europäische (und andere nicht amerikanische) Investoren mit US-Wertpapieren dann am Ende weniger verdienen (was irgendwann zu einem Überschiessen führen würde).


Grosse Zyklen

Wenn der Euro in den nächsten Jahren auf 1,30 US-Dollar aufwertete, würde das Pfund (unter der Annahme eines stabilen Pfund-Euro-Wechselkurses) etwa 1,50 US-Dollar kosten. Anders ist es beim Yen, doch könnte Japans Währung bei einem generellen Dollarverfall irgendwann wieder so viel wert sein wie vor der Straffung der US-Geldpolitik. Denk­bar wären weniger als 120 Yen je US-Dollar. Japanische Anleger hätten dann noch mehr Gründe, sich aus US-Titeln zurückzuziehen. Solche Wechselkurse scheinen auf den ersten Blick verrückt, aber die Währungsgeschichte zeigt, dass sie nicht unmöglich sind. In den letzten Jahrzehnten hat der Dollar bisweilen extrem geschwankt. Ich selbst habe in meiner Berufslaufbahn sowohl 2,10 als auch 1,04 US-Dollar je Pfund erlebt.

Zweifel an Langläufern

Manchen Kunden, vor allem solchen mit einer hohen Anleihenquote, machen auch die Langfristrenditen und die Inflation Sorgen. Letzte Woche habe ich schon angedeutet, dass nur wenige Industrieländer kein Haushaltsproblem haben. Die Langfristrenditen entschädigen Anleger kaum für die Risiken einer steigenden Staatsverschuldung und ihrer (wenn auch eher unwahrscheinlichen) Monetisierung, der Finanzierung mit der Notenpresse. Langläufer waren in den letzten Jahren schwach. Sollten wir uns also auf einen vielleicht noch sehr viel stärkeren Renditeanstieg und noch sehr viel steilere Zinsstrukturkurven einstellen? Heute liegen die 30-jährigen US-Renditen nur um etwa 90 Basispunkte über den fünfjährigen. Es waren auch schon einmal 250. Kann man angesichts der derzeitigen 5-Jahres-Rendite von 4% mit 30-Jahres-Renditen von 6,5% rechnen?

Wieder 3% Inflation?

Ich weiss nicht, ob sich die Märkte auf einen neuen Inflationsschock vorbereiten sollten. Wenn er kommt, dann vermutlich nur in den USA. Manche Beobachter glauben, dass die Zölle die Verbraucherpreise erst in den nächsten Monaten steigen lassen werden; schliesslich sind solche verzögerten Preisanpassungen etwa im Einzelhandel die Regel. Im Mai betrug die US-Inflation nur 2,4% z.Vj. Seit Anfang Juni sind die Ölpreise aber um über 20% gestiegen, und die Benzinpreise an amerikanischen Tankstellen um 15%. Wenn man dann noch die Auswirkungen der Zölle berücksichtigt, könnte die Inflation durchaus kräftig zulegen. 3% im Juni oder Juli, wenn nicht mehr, scheinen dann keineswegs übertrieben. Da die Fed diese Woche keine Zweifel an ihrer „abwartenden“ Haltung aufkommen liess, könnte das US-Staatsanleiheninvestoren beschäftigen.

Weniger taktische und mehr strukturelle Risiken

Das US-Konjunkturbild ist unübersichtlich, und die Märkte könnten es auch bald sein. Kurz laufende Credits, High-Yield-Anleihen und kurz laufende Linker wären risikoärmere Anlagen für den Fall einer steigenden Marktvolatilität in den nächsten Wochen. Eine vorübergehend höhere Inflation, schwächere Wirtschaftszahlen und die anhaltende politische Unsicherheit könnten risikobehafteten Titeln schaden. Auch weil die amerikanischen Realrenditen noch immer über 2% liegen, halte ich es weiterhin für wahrscheinlich, dass man mit Anleihen mehr verdient als mit Aktien.

Performancedaten/Quellen: LSEG Workspace Datastream, ICE Data Services, Bloomberg, AXA IM, Stand 19. Juni 2025, falls nicht anders angegeben. Die Wertentwicklung der Vergangenheit ist kein Hinweis auf künftige Erträge.

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