Der Krieg – Vater aller Dinge?
- Die Auswirkungen des Ukrainekrieges werden die sozialen Schichten in Europa unterschiedlich stark belasten. Der Umverteilungsdruck wird die durch die Beschleunigung der Energiewende und den Anstieg der Militärausgaben ausgelösten Haushaltsverschiebungen noch verstärken.
- Die EZB ist möglicherweise bereit, die Normalisierung ihrer Geldpolitik zu verzögern, aber an der Richtung ändert sich nichts. Es wäre falsch, jetzt auf eine Monetarisierung der Schulden zu setzen, um die Haushaltsverschiebungen besser schultern zu können.
Wichtige wirtschaftspolitische Veränderungen fallen häufig mit Kriegen oder Kriegsvorbereitungen zusammen. Sie haben nicht nur Auswirkungen darauf, wie Ressourcen zum Schutz gegen Bedrohungen von außen eingesetzt werden. Sie bestimmen auch die Struktur der öffentlichen Ausgaben, um innerhalb des Landes für soziale Ausgewogenheit zu sorgen. Der Aufbau eines Wohlfahrtsstaates als Zeichen der Überlegenheit des Westens gegen den kommunistischen Block war fester Bestandteil des Kalten Krieges. Der Kampf gegen COVID-19 war ein kriegsähnlicher Zustand, der wieder mehr staatliche Interventionen förderte. In den westlichen Ländern spielte wahrscheinlich das Bewusstsein der gravierenden sozialen Unterschiede vor der Pandemie eine Rolle, das sich im Aufkommen des Populismus widerspiegelte. Ohne die massive Unterstützung der privaten Einkommen und ohne Arbeitsplatzsicherheit wären die enormen Einschränkungen, die durch die hohen Infektionszahlen notwendig waren, möglicherweise nicht durchsetzbar gewesen.
Der Ukrainekrieg ist die nächste Prüfung für die Volkswirtschaften und Gesellschaften europäischer Länder. Nach den Umfragen ist die Mehrheit der Menschen bereit, für die Sanktionen gegen Russland gewisse finanzielle Opfer zu bringen, aber ohne staatliche Unterstützung wird es nicht gehen. Die sozialen Schichten werden unterschiedlich stark betroffen sein. Die Teuerung wird vor allem aufgrund der höheren Energie- und Nahrungsmittelpreise steigen – zwei Dinge, die einen großen Anteil am Warenkorb der einkommensschwachen Schichten haben. Dieser „Umverteilungsdruck“ wird die Belastung durch die Energiewende und die steigenden Verteidigungsausgaben nur verstärken.
Ein wichtiger Unterschied zur Pandemie ist, dass die EZB den Ländern jetzt nicht mehr bei der Finanzierung neuer Staatsschulden helfen kann. Diesmal ist die Inflation der Anfang der Wirtschaftskrise, nicht ihre Spätfolge. Wir gehen davon aus, dass Christine Lagarde diese Woche eine langsamere Normalisierung der Geldpolitik ankündigen wird als nach der Februarsitzung zu erwarten war. Wir denken aber auch, dass sich an der Richtung nichts ändern wird. In unsicheren Zeiten dürften die Zentralbanker bei ihren Entscheidungen vor allem an zwei Phasen in der Geschichte denken. Die eine ist die geldpolitische Fehlentscheidung, während der Großen Depression der 1930er-Jahre eine zu straffe Geldpolitik betrieben zu haben. Die andere ist der Fehler der zu milden Geldpolitik während der 1970er-Jahre. 14 Jahre lang haben sie sich an den „Essays on the Great Depression“ von Ben Bernanke orientiert. Vielleicht greifen Sie jetzt zu Milton Friedman. Die Haushaltsverschiebungen werden nicht schmerzfrei sein.
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