
Was die Strategieüberprüfung der EZB für Anleger bedeutet
Im Überblick
Auf den ersten Blick scheint die diesjährige EZB-Strategieüberprüfung kaum andere Ergebnisse zu liefern als die letzte vor vier Jahren. Anleger sollte das eigentlich beruhigen. Wenn man sich das Papier aber genauer ansieht und dabei die konjunkturellen Rahmenbedingungen berücksichtigt, erkennt man grundlegende Veränderungen. Die EZB ändert mitnichten nur Kleinigkeiten. Das ist jedenfalls unser Eindruck.
Vieles sieht zunächst aus wie gehabt: Die EZB bestätigt ihr 2%-Inflationsziel, das 2021 als grosse Innovation galt. Bis dahin war stets von „etwas weniger als 2%“ die Rede gewesen.
Seitdem hat sich das Makroumfeld aber stark verändert, die Weltlage ebenso wie die wirtschaftlichen Fundamentaldaten.
Auch nach Corona waren Europa und die Welt mit einer Reihe von Schocks konfrontiert, die das klassische nachfrageorientierte Konjunkturmodell infrage stellten. Viele Geldpolitiker mussten sich daher bewegen. Der Wortlaut der Strategieüberprüfung mag sich nur wenig von der 2021er-Ausgabe unterscheiden, aber die Rahmenbedingungen sind heute völlig anders.
Ein neues Konjunkturumfeld
Die folgenden Überlegungen könnten bei der Einordnung helfen: Von 2010 bis 2020 betrug die Inflation im Euroraum durchschnittlich 1,4%. Seitdem sind es im Schnitt 3,7%, mit einem Höchststand von 10,6% im Oktober 2022. Im Juli 2022 hat die EZB ihren wichtigsten Leitzins, den Einlagenzins, von ‑0,5% auf 0% angehoben, sodass er nicht mehr negativ war. Die Inflation betrug zu dieser Zeit beachtliche 8,8%. Auffällig ist, dass die EZB erst vier Monate nach der Fed aktiv wurde. Vorausgegangen waren intensive Diskussionen zwischen jenen Ratsmitgliedern, die die Inflation für vorübergehend hielten, und denen, die schon damals von einem Paradigmenwechsel ausgingen.
Tatsächlich war die Teuerung während Christine Lagardes Präsidentschaft, die 2019 begann, mit kumuliert 22,8% bislang doppelt so hoch wie das EZB-Inflationsziel. Die Folgen für die Kaufkraft liegen auf der Hand. Zum Glück hat sich die Inflation bis Mitte 2025 ihrem Zielwert aber wieder stark angenähert.
Die Strategieüberprüfung 2025 konzentriert sich auf fünf eng verbundene und geldpolitisch wichtige Makrothemen:
- Inflationsziel: Das symmetrische Inflationsziel von 2% wurde bestätigt. Man will also bei einem Unterschreiten ebenso handeln wie bei einem Überschreiten.
- Unsicherheit: Demografischer Wandel, technischer Fortschritt (Stichwort KI), Klimawandel und andere Entwicklungen verändern die Weltwirtschaft strukturell. Die Geldpolitik muss sich daher auf grössere Prognosefehler und eine unsicherere Inflationsentwicklung einstellen.
- Geldpolitisches Instrumentarium: Die EZB will weiter alle Instrumente nutzen. Auswahl, konkrete Ausgestaltung und Einsatz hängen von der Art der Konjunkturschocks ab.
- Integrierter Ansatz: Die Notenbankentscheidungen beruhen auf Daten und Informationen zu Wirtschaft, Geldpolitik und Finanzen, wobei auch Nichtlinearitäten berücksichtigt werden. Das ist eine Weiterentwicklung des alten Zwei-Säulen-Ansatzes mit Konjunktur- und geldpolitischen Analysen.
- Kommunikation: Die (wegen der zunehmend unsicheren Prognosen immer beliebteren) Szenario- und Sensitivitätsanalysen werden veröffentlicht, als Ergänzung zum Pressestatement und den Antworten der EZB-Chefin auf der Pressekonferenz. Dabei handelt es sich um eine Weiterentwicklung der früheren „Basiskommunikation“.
Konsequenzen für Anleger
Grundsätzlich ändert die Strategieüberprüfung 2025 nichts an Mario Draghis Ansatz, nach dem die Geldpolitik die Marktentwicklung im Blick haben und die Märkte bei Bedarf stützen soll. Alle geldpolitischen Instrumente stehen weiter zur Verfügung, auch unorthodoxe wie Quantitative Easing. Darauf haben Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel und zuletzt auch die Bundesbank immer wieder hingewiesen.
Das ist auch wichtig für die Transmission der Geldpolitik. Wenn der Zins unter die sogenannte Reversal Rate fällt (ab der eine expansive Geldpolitik der Konjunktur eher schadet als nützt), könnte der Transmissionsmechanismus versagen und die Glaubwürdigkeit der Notenbank damit leiden. Das kann grosse Folgen für die Stabilität der europäischen Anleihenmärkte haben, vor allem, wenn sich die Staatsfinanzen verschlechtern und die Laufzeitprämien allmählich steigen.
Wenn Anleger die Ergebnisse der Strategieüberprüfung 2025 für ihre strategische Asset-Allokation nutzen wollen, sollten sie die Auswirkungen einer Stabilisierung des Anleihenmarktes durch die Notenbank auf die Bewertungen von Staatsanleihen kennen.
- Bei Risiken, auch durch Probleme an einzelnen Staatsanleihenmärkten, nutzt die EZB üblicherweise unorthodoxe Instrumente und kauft gegebenenfalls auch gezielt Staatsanleihen ausgewählter Länder. Beim Public Sector Purchase Programme (PSPP) ist das tatsächlich passiert, beim Transmission Protection Instrument (TPI) wurde nur damit gedroht.
- Unorthodoxe Instrumente können die Staatsanleihen-Spreads senken. Übertriebene Anleihenkäufe der Notenbank könnten aber der Marktliquidität, der Markttiefe und der Verfügbarkeit bestimmter Anleihen schaden. Bisweilen kann die Geldpolitik also die Kurse so stark beeinflussen, dass die relativen Bewertungen der Staatsanleihen verzerrt werden. Abbildung 1 zeigt den Zusammenhang zwischen dem PSPP der EZB und den Asset Swap Spreads (ASW) deutscher Bundesanleihen, also der Differenz zwischen ihrer Rendite und dem Swapsatz.
Abbildung 1

Quellen: AXA IM, Bloomberg, EZB
Noch komplizierter wird es für die EZB dadurch, dass der europäische Anleihenmarkt durch die expansive Fiskalpolitik im Euroraum deutlich stärker gewachsen ist als der Unternehmensanleihenmarkt (Abbildung 2). Die Fiskalpolitik entspricht nicht immer den strengen Regeln des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts, der eigentlich für solide Staatsfinanzen und eine koordinierte Fiskalpolitik sorgen soll. Solche Probleme gibt es zwar natürlich nicht nur im Euroraum. Generell stellt sich aber die Frage, ob der „risikolose“ Zins wirklich risikolos ist und was das für die Steigung der Zinsstrukturkurve bedeutet.
Bei einem kontinuierlichen Anstieg der Schuldenstandsquoten wachsen die Risiken für die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen. Oft geht mit steigenden Staatsschulden auch eine steigende Laufzeitprämie einher, während eine geringe oder gar negative Laufzeitprämie meist die Folge umfangreicher Anleihenkäufe der Notenbanken oder glaubwürdiger Informationen über die künftige Geldpolitik ist („Forward Guidance“).
Abbildung 2

Quellen: AXA IM, Bloomberg
In der Praxis dürfte die Kombination aus einer am Markt orientierten EZB-Geldpolitik und einer expansiven Fiskalpolitik angesichts der schon jetzt hohen Schuldenstandsquoten eher für Unternehmens- als für Staatsanleihen sprechen.
Letztlich sind aber in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Staatsanleihen attraktiver als Unternehmensanleihen. Unternehmen können insolvent werden, aber Staatsanleihen können mit den beschriebenen Massnahmen weiter bedient werden.
Man könnte daher vermuten, dass man mit einem höheren Kreditrisiko mehr verdienen kann als mit einer längeren Duration, also einem höheren Zinsrisiko. Wie so oft im Finanzwesen müssen Anleger entscheiden, welchen Preis sie zu zahlen bereit sind. Bei einer steileren Zinsstrukturkurve und eher engen risikoadjustierten Credit Spreads, sollte man eher auf Duration als auf Spreads setzen. Irgendwann wird die Duration wieder der entscheidende Alphafaktor sein.
Wenn aber die schon jetzt komplexen Entscheidungsprozesse der EZB noch vielschichtiger werden, könnte sich die Geldpolitik von ihrem transparenten und umfassenden regelbasierten Ansatz entfernen.
Notenbankchefin Lagarde hat dabei die Aufgabe, Entscheidungen des EZB-Rats so zu vertreten, dass alle Marktteilnehmer zufrieden sind. Sie darf nicht den Eindruck entstehen lassen, dass die Entscheidungen willkürlich sind – und muss berücksichtigen, dass die Wirtschaftslage sehr viel unsicherer geworden ist.
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