Wendepunkt in weiter Ferne
- Ein Wendepunkt in der Entwicklung der US-Inflation scheint in weiter Ferne, sodass die US-Notenbank in dieser Woche wohl eine weitere kräftige Zinserhöhung vornehmen wird. Wir rechnen mit 75 Basispunkten.
- Wir erörtern den Aufruf von Maurice Obstfeld zu mehr internationaler Zusammenarbeit bei geldpolitischen Entscheidungen.
- Die Reaktion von Giorgia Meloni auf den Streit zwischen der EU und Ungarn sollte man genau im Auge behalten.
Ein dauerhafter Rückgang der US-Inflation scheint in weiter Ferne. Zwar lassen die „exogenen“ Inflationsauslöser weiter nach – die US-Importpreise (ohne Öl) steigen weniger stark als die Kernteuerung –, aber der inländische Druck wird immer stärker. Nachdem der US-Arbeitsmarkt gegen Ende des Frühjahrs etwas schwächer geworden war, zeigt er sich mittlerweile wieder beeindruckend stabil. Der Rückgang der langfristigen Inflationserwartungen dürfte die Fed etwas beruhigen. Offenbar hat sie ihre Glaubwürdigkeit zurückgewonnen, aber nach einer eingehenderen Analyse scheinen Löhne und Preisentwicklung eher von den noch immer erhöhten kurzfristigen Erwartungen abzuhängen. Das ruft nach einer weiteren sehr kräftigen Zinserhöhung in dieser Woche. Einige Marktbeobachter halten jetzt sogar 100 Basispunkte für angemessen. Ausgeschlossen ist das nicht, aber selbst wenn die Fed sich für „nur“ 75 Basispunkte entscheidet – unser Basisszenario –, rutscht die Geldpolitik in den restriktiven Bereich. Das erfordert ein gewisses Maß an Umsicht.
Zahlreiche übermäßig starke Zinserhöhungen erwecken den Eindruck eines „Wettrennens zum Höchststand“ unter den Zentralbanken. Maurice Obstfeld forderte mehr internationale Absprachen bei geldpolitischen Entscheidungen, um das Risiko einer übermäßigen Straffung zu mindern. Dem stimmen wir grundsätzlich zu, aber in der Praxis wäre eine solche Zusammenarbeit nur dann wirklich effizient, wenn man sie auf das Währungsmanagement ausdehnte. Aber selbst bei koordinierten Entscheidungen würde sich das Ausmaß der Straffung vermutlich nach dem Zustand der einzelnen Volkswirtschaften richten. Weil die Wirtschaft der USA im Gegensatz zur Euroraumwirtschaft zurzeit überhitzt, lägen die lokalen Zinsen in den beiden Währungsräumen trotzdem weit auseinander. Die anhaltende Euro-Schwäche, die zu importierter Inflation führt, würde die EZB deshalb dennoch zu einer „zu starken“ Straffung verleiten – auch entgegen internationaler geldpolitischer Absprachen. Darauf, dass es bald zu einer solch umfassenden Absprache kommt, würden wir nicht wetten.
Schließlich werfen wir noch einen Blick auf die Empfehlung der EU-Kommission, Ungarns Fördermittel aus dem EU-Haushalt zu kürzen. Die Reaktion der vermutlichen Gewinner der am Sonntag bevorstehenden Wahlen in Italien auf dieses Thema lässt den Schluss zu, dass sich Rom in Zukunft mehr an den streitlustigen östlichen Mitgliedern der Währungsgemeinschaft orientiert. Das wird die Europäische Union nicht voranbringen.
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